Vilnius ist flächenmäßig die größte Stadt des Baltikums und die zum UNESCO-Weltkulturerbe gekürte Altstadt ist eine der größten Osteuropas. Von der langen Geschichte der Stadt zeugen die über 50 Kirchen verschiedener Religionen und Gebäude verschiedener Epochen. Dieser Mix verlieh Vilnius den Spitznamen „Rom des Ostens“ – von südländischem Wetter fehlt Anfang Dezember aber leider jede Spur. Stattdessen gibt es weihnachtliche Stimmung inklusive Schnee und der Eröffnung der Weihnachtsmärkte:
Wegen des Zusammenlebens verschiedener Religionen und Ethnien galt Vilnius schon früh als eine der liberalsten Städte Europas. Heute findet man neben den vielen römisch-katholischen Kirchen und Kathedralen auch russisch-orthodoxe Kirchen.
Eine prägende Religion für die Stadt war außerdem das Judentum. In Vilnius gab es zwei Ghettos sowie zahlreiche Synagogen, von denen nun nur noch eine in Betrieb ist. Das Erbe des „Jerusalem des Ostens“, wie Vilnius vor dem Zweiten Weltkrieg betitelt wurde, ist wegen des Holocausts nur noch punktuell zu sehen. So ist zum Beispiel der Name der jüdischen Straße nicht nur auf Litauisch, sondern auch auf Hebräisch und Jiddisch an den Hauswänden angebracht.
Eine Eigenschaft, die Litauer mit ihren lettischen Nachbarn gemeinsam haben, ist der Patriotismus. Wie Lettland und Estland erklärte auch Litauen 1918 seine Unabhängigkeit, was dieses Jahr auch hier zum Jubiläum macht. Dementsprechend finden sich viele litauische Flaggen und Schriftzüge, die auf das historische Jahr hinweisen.
Dass die baltischen Staaten sich immer wieder gegen Russland behaupten mussten und auch in Zukunft auf der Hut sein sollten, ist kein Geheimnis. In Vilnius wird die Solidarität gegenüber dem Westen und der Stolz auf die Verbindungen zur NATO und insbesondere den USA jedoch auf ein neues Level gehoben. Nachdem George W. Bush den Litauern 2002 Unterstützung versprach, versahen diese das Rathaus ihrer Hauptstadt prompt mit seinem Statement: „Jeder, der sich Litauen zum Feind macht, macht sich auch die USA zum Feind“. Ironisch bleibt, dass Bush diesen Satz keinesfalls nur in Litauen gebrauchte, sondern mit dieser Formulierung auch anderen osteuropäischen Staaten Unterstützung versicherte – aber das reibt man den stolzen Litauern wohl besser nicht zu sehr unter die Nase.
Ein anderer Ort, der vielleicht ein bisschen über das litauische Selbstverständnis offenbart, ist die Literatenstraße. Hier ist jedem (!) Schriftsteller, der Vilnius jemals in einer Veröffentlichung erwähnte, ein kleines Kunstwerk gewidmet.
Eine feierliche Zeremonie, in die wir ganz zufällig hineingestolpert sind, ist das Fahnenwechseln vor dem Präsidentenpalast jeden Sonntag um 12. Eine kleine Gruppe Soldaten marschiert zu den vier Fahnen (EU, Litauen, Wappen Litauens, NATO), lässt sie herab und führt dann eine etwas befremdliche Zusammenfalt- und Wechsel-Choreographie auf.
Die andere Seite von Vilnius kann man entdecken, wenn man die Altstadt verlässt und den Stadtbezirk Užupis betritt. Hierbei handelt es sich um das Künstlerviertel, das sich zur eigenen Republik ausgerufen hat. Neben einem Präsidenten und einem 11-köpfigen Parlament, das in der populärsten Bar des Bezirks tagt, hat Užupis Res Publika auch eine Verfassung, die unter anderem Gesetze wie „Jeder Mensch hat das Recht zu sterben, ist hierzu jedoch nicht verpflichtet“ enthält. Diese Verfassung steht auf großen Spiegeltafeln in Dutzenden von Sprachen geschrieben, was die Internationalität der Republik betonen soll. Doch der Charme von Užupis beschränkt sich nicht nur auf die Politik – es gibt zahlreiche Graffitis und Kunst an jeder Ecke.
Abschließend kann ich nur noch sagen, dass Vilnius eine sehr vielfältige und interessante Stadt ist und sich der Besuch trotz einiger beinahe-Erfrierungen durchaus gelohnt hat!
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